AUßER_ORDENTLICH. KUNSTHOCHSCHULE MAINZ

Kunst­hoch­schulen sind außer­ge­wöhn­liche Orte. Die nur hier so vorzu­fin­dende Melange aus eupho­risch zukunfts­ge­wisser Gestal­tungs­freude sowie einer Prise ungestümer Anarchie ist ein unver­gleichlich wertvoller Schatz. Der Korpus einer Kunst­hoch­schule wird aus ihren Klassen gebildet; Prof. Adrian Williams nennt sie den „Goldschatz“ einer Kunst­hoch­schule. Ihr Herzschlag ist die Freiheit der ‚künst­le­ri­schen Lehre’; Für Einige Reizwort, gar verun­klä­rendes Mysterium, für die Kunst­hoch­schule unabdingbare Grundlage – immer jedoch Ausweis der Außer­or­dent­lichkeit dieser Institutionsform.

Wir stellen keine Aufgaben.“ Dieser Satz der Profes­sorin Judith Samen zielt unmit­telbar auf den Kern künst­le­ri­scher Lehre: „Was wir machen, ist einen Freiraum zu schaffen, in dem die Leute frei entscheiden können, was sie tun.“ (Prof. Martin Schwenk) Eine Kunst­hoch­schule sollte ihren Studie­renden einen Raum eröffnen, in dem sich künst­le­rische Prozesse entwi­ckeln können. Ihre Aufgabe ist es – wie Prof. Winfried Virnich sagt – jenen „schüt­zenden, rahmenden und auch fordernden Ort“ zu bieten, „an welchem Ausein-ander­setzung mit dem je eigenen Begehren möglich ist.“ Diesen Schutzraum immer wieder aufs Neue zu bewahren, zu gestalten und stetig zu verbessern, ist die wichtigste Heraus­for­derung, der sich die Kunst­hoch­schule Mainz zu stellen hat.

Das Primat der künst­le­ri­schen Lehre liegt in der Klasse. Jede Klasse unter­steht der Leitung einer/eines künst­le­ri­schen Professor*in. Somit wird künst­le­rische Lehre in einer Kunst­hoch­schule im wahrsten Sinne des Wortes am ‚vor-bildlichen’ Individuum der Klassenleiter*innen festge­macht. Die Klasse ist gemein­sames Atelier, Werkstatt, Ausstel­lungsraum und Ort des Austau­sches. Insti­tu­tio­na­li­siert ist dieser Austausch im wöchentlich statt­fin­denden Kollo­quium. Hier werden im Kreis der Klassen­ge­mein­schaft dort entstandene Werke ebenso wie künftige Projekte vorge­stellt, analy­siert, disku­tiert und weiter­ge­dacht; Hier können Haltungen heran­reifen, sich selbst und seiner künst­le­ri­schen Arbeit gegenüber.

Der Blick in die Vergan­genheit zeigt, dass die Kunst­hoch­schule Mainz sich in kurzer Zeit von einem handwerks­ba­sierten künst­le­ri­schen Fachbe­reich der Univer­sität zu einer struk­turell an den übrigen 23 deutschen Kunst­aka­demien orien­tierten Kunst­hoch­schule entwi­ckelt hat. Dabei hat das Ringen um größt­mög­liche Eigen­stän­digkeit – fast alle übrigen Kunst­hoch­schulen sind autonome Insti­tu­tionen – einen hohen Stellenwert einge­nommen. Mit derzeit ca. 180 Studie­renden und 14 Profes­suren (11 Fachklassen, 1 Kunst­be­zogene Theorie, 1 Kunst­di­daktik, 1 Basis­klasse) gehört die Kunst­hoch­schule Mainz zu den kleinsten in Deutschland. In dem engen Austausch der theore­ti­schen Fächer Kunst­di­daktik und kunst­be­zo­gener Theorie mit den künst­le­ri­schen Klassen zeigt sich ein so nur in einer Kunst­hoch­schule möglicher äußerst leben­diger Theorie-Praxis-Bezug. Die Stärke der Kunst­hoch­schule Mainz liegt in ihrer Konzen­tration auf die ‚rein‘ künst­le­ri­schen Fächer, für die sie sich den Diplom­stu­di­engang bewahren konnte. Das hier prakti­zierte gleich­be­rech­tigte und eng verzahnte Mitein­ander der Studi­en­gänge Freie Bildende Kunst und Lehramt gibt ihr ein beson­deres Profil. Für Absolvent*innen des Lehramts­stu­diums bedeutet die Erfahrung künst­le­ri­schen Denkens – der grund­sätz­lichen Anders­ar­tigkeit künst­le­ri­schen Wissens und Handelns, wie sie das Atelier­studium an einer Kunst­hoch­schule ausmacht – eine unschätzbare fachliche Basis­qua­li­fi­kation. Entwicklung und Prägung ästhe­ti­scher Diskurse ist eine grund­le­gende gesell­schaft­liche Aufgabe von Kunst­hoch­schulen; Sie gilt es auf diesem Weg auch in die Schule zu tragen.

Das Selbst­ver­ständnis der Kunst­hoch­schule Mainz ruht auf zwei Säulen: der Ermög­li­chung quali­täts­voller zeitge­nös­si­scher künst­le­ri­scher Positionen ihrer Studie­renden und der offen­siven Vermittlung ihrer Werke in die Öffentlichkeit– Schutzraum und Brücke. Mit diesem Selbst­ver­ständnis verbindet die Kunst­hoch­schule Mainz den Anspruch auf die Position eines der wichtigsten Foren für die Ausein­an­der­setzung mit zeitge­nös­si­scher Kunst und Kultur in Rheinland-Pfalz.

Martin Henatsch, Rektor der Kunst­hoch­schule Mainz (2021)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.