Aufbau und Künst­le­rische Leitung der Gerisch-Stiftung 2007 – 2015

Profil mit Ort und Geschichte

Eine Ausstel­lungs­in­sti­tution kann sich nur durch­setzen, wenn sie ein eigenes und auf ihren Ort und ihre Geschichte abgestimmtes Profil entwi­ckelt. Nur so lässt sich im vielstim­migen Konzert konkur­rie­render Kunst­in­sti­tu­tionen eine eigene Position behaupten. Nur wenn die inhalt­liche Frage­stel­lungen spannend genug sind, sie Möglich­keiten eröffnen, so pointiert und auf den Ort ausge­richtet arbeiten zu können, wie es vielleicht in anderen Museen nicht möglich ist, werden sich auch inter­na­tional renom­mierte Künstler unter vielleicht ungüns­ti­geren Bedin­gungen an einem unbekann­teren Ort engagieren und der Ort entspre­chende öffent­liche Wahrnehmung erhalten.

Wie also macht man aus einer unbekannten, wenig profi­lierten Kunst­sammlung in einer kulturell entle­genen Region einen aktuellen, viel beach­teten und künst­le­risch aufge­la­denen Ort? Vor dieser Heraus­for­derung stand ich, als ich 2007 die künst­le­rische Leitung der Gerisch-Stiftung in Neumünster übernahm. So spezi­fisch diese Aufgabe an diesem Ort einer­seits, so grund­legend war sie anderer­seits; gilt es doch auch an anderen Orten, Ausstel­lungs­häusern und Museen ein  Konzept zu erarbeiten, das ihnen nicht nur ein inhaltlich spannendes und unver­wech­sel­bares Profil verleiht, sondern auch für Besucher  attraktiv ist. Die Frage lautet, wie es möglich ist, die jeweilige Geschichten und Spezifika eines Ausstel­lungs­ortes zu erfor­schen und künst­le­risch zu thematisieren.

Bei der Organi­sation ortspez­fi­scher Projekte stoßen häufig jene Orte auf beson­deres Interesse, die eher ungeordnet, nicht heraus­ge­putzt und abseits des Mainstreams liegen: Unorte, Brach­land­flächen, ehemalige Gewer­be­flächen, Räume, die Geschichten zu erzählen haben, die Freiräume  für diskursive Ausein­an­der­set­zungen bieten können, abseits stadt­mar­ke­tings­wirk­samer Oberflächenbehübschung.

Die künst­le­rische Ausein­an­der­setzung mit Idylle in der Gerisch-Stiftung

Es gibt keinen schlechten Ort für Kunst, lediglich die falsche Kunst für den falschen Ort.

Ließe sich ein solches Verfahren auch auf einen Ort anwenden, wie sich die Gerisch-Stiftung 2007 zu Beginn meiner dortigen Tätigkeit darstellte? Auch auf jenes liebevoll stifterlich gepflegtes Ambiente mit sorgfältig geharkten Parkwegen, jugend­sti­ligem Dekor und einem großbür­ger­lichem Selbst­ver­ständnis höchster Wertigkeit, das sich selbst in der Auswahl der Blumen­kübel oder Weihnachts­de­ko­ration wieder­spiegelt? Oder relati­viert ein solch selbst­ver­liebtes Ambiente jene Konzepte, die Kunst als Treib­riemen zur Aufde­ckung, Thema­ti­sierung und Heraus­for­derung einer kriti­schen Öffentlichkeit verstehen?

 

Das Ernst­nehmen jedes Ortes, den man für die Kunst bereit­halten darf, ist unabdingbare Grund­be­dingung für quali­täts­volle Ausstel­lungs­vor­haben. Es gibt keinen schlechten Ort für Kunst, lediglich die falsche Kunst für den falschen Ort. Diesem Grundsatz war mein Konzept für die Gerisch-Stiftung verpflichtet. So galt es, die makellos sich gebende Idylle an der Neumüns­te­raner Schwale nicht als Diskurs-ersti­ckenden Dekor abzuwerten; Im Gegenteil, wenn man deren arkadi­schen Paradies-Charakter zum künst­le­ri­schen Thema erklärt, gewinnt auch ein solcher Ort an inhalt­licher Spannung. Hatte nicht bereits der römische Dichter Virgil sein Arkadien just in dem Moment ausge­rufen, als nach der Ermordung Cäsars in Rom größte Unruhen um sich griffen? Hält uns demnach nicht die Sehnsucht nach Idylle ebenso einen Spiegel für gesell­schaft­liche Entwick­lungen und utopische Entwürfe bereit wie das rigorose Aufzeigen von deren Schattenseiten?

Natur, Idylle und Paradies sind keine anthro­po­lo­gi­schen Konstanten

Warum nehmen wir eine bestimmte Gestaltung als paradie­sisch wahr? Was macht ein Stück Landschaft zur Idylle? Wann empfinden wir Natur als schön – und warum? Natur, Idylle, Paradies, Arkadien sind eben keine anthro­po­lo­gi­schen Konstanten, sondern kultur­his­to­risch geprägte Variablen, abhängig von kultu­reller Bildung, sozialer Zugehö­rigkeit, der histo­ri­schen Situation und dem gesell­schaft­lichen Kontext. Damit war das  Forschungsfeld eröffnet, das geradezu perfekt auf den von seinem idylli­schen Park und der Jugend­stil­villa geprägten Ort in Neumünster zu passen schien. Genau jene Fragen leitete ich von nun an alle Künstler weiter, die ich für Ausstel­lungen und Projekte in der Gerisch-Stiftung gewinnen konnte. Mehr noch bildete die Überzeugung, dass ein Künstler sich mit diesen Fragen in seiner Arbeit bereits intensiv ausein­an­der­ge­setzt hat oder in der Lage wäre, sich ausein­an­der­zu­setzen, die Voraus­setzung für meine kurato­rische Auswahl. Diese reichte von Mark Dions im Park instal­lierten Hochsitzen über Yehudit Sasportas filmische Jenseits-Verfüh­rungen, Carsten Höllers natur­wis­sen­schaftlich geprägten Blick auf Kunst und Fliegen­pilze, Susanne Kutters Idyllen-Zerstö­rungen, Thorstens Goldbergs Sehnsuchts­wolken, Romuald Hazoumès afrika­ni­sches Paradise – made in Porto Novo bis hin zu Yinka Shoni­bares Cannonball-Paradise.