54° 4 min. Thorsten Goldberg
Gerisch-Stiftung, Neumünster
Kurator: Dr. Martin Henatsch
Wo kämen wir hin, wenn wir schnurgerade in eine Richtung gingen, nicht anhalten und niemals abbiegen würden? Wo und wann sollten wir diese fiktive Reise beenden? Wer hätte sich nicht schon einmal in Gedanken auf große Fahrt begeben, einen Globus in Drehung versetzt und den Finger voller Erwartung erst wieder gesenkt, wenn die Welt darunter zum Stehen kommt. Wir stellen uns vor, wie es dort aussähe, wie es wäre, da zu sein … Wo liegen die Wurzeln für unsere Bilder von Arkadien, Schlaraffenland und Paradies, welche künstlerischen Wege führen dorthin?Mit der Ausstellung 54° 4 min. des Berliner Künstlers Thorsten Goldberg (geb. 1960), der vor allem durch sein Werke im öffentlichen Raum international bekannt ist, erhält diese Fragestellung eine neue Dimension. 54° 4 min., der Breitengrad, auf dem die Gerisch-Stiftung in Neumünster liegt, erzählt von einer Reise zu solch sehnsuchtsbesetzten Orten, vergleichbar mit jenen, die schon die seefahrenden Entdecker der frühen Neuzeit auf der Suche nach dem Paradies westwärts lockten.
Seine Wolkenskulpturen „Cumulus“ stehen für diese gedanklichen Reisen in die Ferne – die Gedanken ziehen mit den Wolken. Doch Goldbergs Wolken verbleiben am Ort, sie werden von drehbaren, aufragenden und weit auskragenden Metallwinkeln aus poliertem Edelstahl in den Himmel gehoben, ohne jemals davon ziehen zu können. Ausgerechnet eine Wolke – Inbegriff für Immaterialität, Flüchtigkeit und ständige Veränderung – hat der Künstler mit comichafter Schematisierung in glänzendem Kunststoff materialisiert und an den Ort gebunden. Oder lädt er uns ein, dem Zug der Wolke, dieser romantischen Projektionsfläche menschlicher Sehnsüchte, in die Ferne zu folgen?
Die Anleitung zu fernen sehnsuchtsbesetzten Orten hat Goldberg zum Titel jener Ausstellungsreihe erhoben, mit der er sein Werk in Neumünster, im Zentrum für Gegenwartskunst „Łaźnia“ in Danzig sowie in der Städtischen Galerie im Park Viersen präsentierte: 54°4 min. ist deren rätselhafte Betitelung, mit der er auch eine weitere für sein Werk zentrale Arbeit überschreibt. Es ist eine Wegbeschreibung entlang des Breitengrades des Ausstellungsortes in Richtung Westen. Goldberg spannt mit der Nennung der geografischen Breite eine fiktive Verbindungslinie zu fernen, verheißungsvoll erscheinenden und zugleich weitgehend unbekannten Orten. Schickt uns der Künstler also mit seiner Reiseanleitung 54°4 min. nicht nur zu einer beliebigen Inselgruppe in British Columbia, die auf diesem Breitengrad liegt, als vor allem auf die Suche nach unserem Paradies – jenen innernen Leerstellen, die wir mit unseren Projektionen und Sehnsüchten füllen?